Hausnummernsalat

Heutzutage kann man sich keine Siedlung ohne Straßennamen in der Postanschrift vorstellen, aber in einigen kleineren Dörfern gab es ein Adresssystem, das auf Hausnummern basierte und manchmal auch beibehalten wurde. Dies ist in Gifkendorf und im benachbarten Rohstorf der Fall.

Früher wurden die Hausnummern tatsächlich nach einer chronologischen Logik vergeben, wobei neue Häuser ihre Nummern nach dem Baudatum erhielten, und zwar ohne jegliche geografische Logik. Lange Zeit war dies in Gifkendorf kein Problem, zumindest solange der Großteil der Lieferungen über den örtlichen Postboten abgewickelt wurde und jeder jeden mit Namen kannte.

Die Situation wurde zunehmend komplexer als es immer mehr Neuankömmlinge und Lieferdienste gab. Einige werden sich noch an Besucher erinnern, die auf der Suche nach einer Adresse verzweifelt durch das Dorf irrten. Die Verwaltung entschloss sich in den 1990er Jahren zu handeln und versuchte, die Einführung von Straßennamen in Gifkendorf durchzusetzen. Der Aufschrei im Dorf, in dem viele an ihren historischen Hausnummern hingen, war heftig. Das Dorf wollte kein Ortsteil von Vastorf werden, es bestand die Sorge, dass der Ortsname Gifkendorf bei diesem Vorgehen am Ende ganz verschwinden würde. Sogar der NDR interessierte sich für den Streit und interviewte Betroffene. Der Umstand, dass das Thema in der Satiresendung extra3 behandelt wurde, lässt vermuten, dass der Kern des Problems von Außenstehenden nicht wirklich verstanden wurde.

„Ein Bild von New York sprengt jeden Rahmen“ (Selbstporträt), Arno Waldschmidt (1936–2017). Das Bild wurde vom Merlin Verlag zur Verfügung gestellt.

Die Verwaltung erzwang schließlich einen Kompromiss: Gifkendorf durfte auf Straßennamen verzichten, musste aber eine neue, geografisch gebundene Hausnummerierung akzeptieren, bei der eine Straße mit aufeinanderfolgenden Hausnummern belegt wurde. Sommer 1993 war es soweit.

Das von Arno Waldschmidt gestaltete Schild 2023 auf dem Dorfplatz, das Schild wurde 2024 ersetzt, Bild Archeokit.

Um diese Lösung dorfseitig zusätzlich zu unterstützen, wurde der Künstler Arno Waldschmidt (Mitglied der Berliner Künstlergruppe Werkstatt Rixdorder Drucke), der seit 1971/1972 im Hinterhaus des Merlin Verlagssitzes in Gifkendorf (Hof 3/38) seinen Wohnsitz hatte, beauftragt, einen Dorfplan mit der neuen Nummerierung zu erstellen. Da man dem Künstler nicht gesagt hatte, wo der Plan aufgestellt werden sollte, war die Ausrichtung der Tafel schließlich genau entgegengesetzt zur geografischen Lage. Höchst unbefriedigend für einen Perfektionisten wie Arno Waldschmidt und sehr verwirrend für manchen Ortsfremden.

Im Laufe der Jahre hat sich das System der neuen Nummerierung etabliert. Mit der digitalen Geolokalisierung und den Navigationssystemen kommt heute freilich jeder an die gewünschte Adresse. Glücklicherweise, denn mittlerweile fahren – Internet und Online-Handel sei Dank – täglich gleich mehrere Paketdienste unsere Dörfer an.

Ein kleiner Nachteil dieser Digitalisierung der Landschaft ist allerdings, dass die Wege nach Aljarn und Solchstorf in den meisten Navigationssystemen als Straße gelten. So kam es im Laufe der Jahre immer wieder zu Einsätzen von ADAC, Feuerwehr oder Traktoren, um Fahrzeuge zu retten, die auf unseren Feldwegen gestrandet sind, weil die Fahrer mehr auf ihr Navigationsgerät als auf ihre visuelle Wahrnehmung vertraut haben.

Der Gifkendorfer Kompromiss, Bild Archeokit.