900 Jahre Dorfentwicklung I

Die Gründung von Gifkendorf als Rundling

Nach der Aufgabe der germanischen Siedlung blieb die Region lange Zeit unbewohnt. Im 8. Jahrhundert entstand zwischen Gifkendorf und Rohstorf ein Dorf, das unter dem Namen Hohenrohstorf bekannt ist. Bei einer archäologischen Ausgrabung wurden zahlreiche Keramiken slawischen Ursprungs gefunden, so dass es naheliegend ist, hier für die Zeit um 1000 nach Chr. eine slawische Siedlung zu vermuten, über die wir letztlich jedoch so gut wie nichts wissen.
Die erste Erwähnung von Gifkendorf in den Archiven erfolgt viel später und stammt aus dem Jahr 1262. Es handelt sich um eine Urkunde, die sich auf ein Steuerproblem bezieht. Das Dorf existierte offensichtlich schon seit einiger Zeit und es ist sehr wahrscheinlich, dass die Gründung von Gifkendorf mit der Ostsiedlung in Verbindung stand.

Deutsche und Slawen: die Ostsiedlung


Um das Jahr 1000 standen sich in Nordeuropa zwei Welten gegenüber: westlich der Elbe die Deutschen, die die Nachfahren der germanischen Völker waren, und östlich des Flusses die Slawen, die aus dem Osten kamen und sich zu diesem Zeitpunkt auf dem Höhepunkt ihrer politischen Expansion befanden.
Ab dem 11. Jahrhundert eroberten deutsche Fürsten (mit Unterstützung des der Kirche, denn die Slawen waren Heiden) diese slawischen Gebiete, zunächst in Schleswig-Holstein, dann in Mecklenburg, Brandenburg und der Altmark.

Verschiedene Phasen der Ostsiedlung von 1100 bis 1400 nach Chr.
rot: bis 1100
grau: 12. Jh.
grün: 13. Jh.
orange: 14. Jh.
Grafik: Archeokit

Der damalige Lüneburger (deutsche) Landesherr Heinrich der Löwe, der Herzog von Sachsen, eroberte im Verlauf dieses Krieges gegen die Slawen große Gebiete in Brandenburg und Mecklenburg (bekannt auch unter der Bezeichnung „Wendenkreuzzug 1160“). Er scheute sich nicht, Menschen (Kriegsgefangene?) aus diesen Gebieten zu deportieren, um sein eigenes Land in der Umgebung von Lüneburg aufzuwerten und seine Siedlungspolitik zu stärken.
Laut Jürgen Jarfe entstand rund um Vastorf ein slawisches Siedlungsmodell mit Vastorf als Mittelpunkt, d.h. als dem „deutschen“ Kern dieses Modells. Hier befanden sich die Kirche, vermutlich eine Mühle und wahrscheinlich auch der Sitz der Regionalverwaltung. Um Vastorf herum entstand ein Gürtel von slawischen Siedlungen, die von slawischen Kriegsgefangenen oder Deportierten bewohnt wurde: Hohenwulfstorf, Wulfstorf, Rohstorf, Hohenrohstorf, Scharnhop und Gifkendorf. Alle diese Siedlungen wurden nach demselben Muster gebaut. Diese Besiedelung muss nach dem Wendenkreuzzug stattgefunden haben und kann daher in die Zeit 1160–1170 n. Chr. datiert werden.

rot: Dörfer mit deutschem Ursprung
blau: Dörfer mit vermutlich slawischem Ursprung
Grafik: Archeokit

Die interessante These von Jarfe ist zwar historisch nicht belegt, doch die Datierung der Gründung und der slawische Ursprung von Gifkendorf sind unbestritten.

Diese slawischen Siedlungen bestanden alle aus vier bis sechs Halbhöfen, die in einer zu dieser Zeit üblichen Dorfform organisiert waren, nämlich als „Rundlinge“. Die Höfe waren hufeisenförmig angeordnet und hatten alle ihr Scheunenfach zur Dorfmitte ausgerichtet, was die Bedeutung der Viehzucht unterstreicht. Der Hof in der Mitte war der Sitz des Dorfvorstehers, der bei den Slawen „Schulze“ genannt wird, was dem Status des Meyers in den deutschen Siedlungen entspricht.

Vermutlicher Plan des Dorfes im 12 Jh. mit den 6 ursprünglichen Höfen, man sieht deutlich die Hufeisenform der Siedlung.
Unten: Rekonstruktion des Rundlinges im Mittelalter
Bilder: Archeokit

Die ersten Erwähnungen des Dorfes erinnern übrigens ebenfalls an diesen slawischen Ursprung: Jeveke oder Jevekenthorpe – offenbar war das Dorf mit einem Mann oder einer Familie verbunden, die den Namen Jeveken trug. In der Gemarkung Gifkendorf gibt es noch weitere Ortsnamen, die einen slawischen Ursprung haben: Sileitzfeld, Sileitzstücke, Schulzenland.

Erst um 1500 wurde der Name Jevekendorf germanisiert und in Gifkendorf umbenannt. Und obwohl der Name in seiner Schreibweise variierte (z. B. Giffckendorf oder Gifkenthorpe), ist er bis heute erhalten geblieben.

Jahrhundertelang bestand das Dorf aus sechs Halbhöfen. 1757 kam ein siebter, kleinerer Hof hinzu, auf dem sich ein Handwerker (Rademacher) als Brinksteller niederließ, es heißt jemand, der eigentlich nur über sehr wenig Land verfügte.
Diese Kontinuität der Siedlung über die Jahrhunderte hinweg mag verwundern und wirft die Frage auf, warum das Dorf etwa 700 Jahre lang überhaupt keine Entwicklung erfahren hat. Tatsächlich ist die Fortdauer der Siedlung kein Zufall:
Als das Dorf gegründet wurde, verfügte jeder Bauernhof über eine Fläche (5 bis 8 ha), die es dem Bauern ermöglichte, seinen Lebensunterhalt zu bestreiten und die verschiedenen Steuern an den Grundherrn zu zahlen.
Das Land gehörte den Bauern nicht, nur der Hof, die Gebäude, das Mobiliar und die Werkzeuge waren ihr Eigentum. Der Grundherr regierte über die Ämter das Land, das er den Bauern gegen zahlreiche Steuern zur Verfügung stellte, die auf den Ernten, aber auch auf Fronarbeit und zu leistenden Diensten basierten.

Dem Bauern war es also nicht möglich, Land zu verkaufen oder zusätzliches Land zu kaufen, es war unmöglich, aus eigener Initiative zu expandieren und neue Bauernhöfe zu gründen.
Es gab keinerlei Flexibilität bei der Bewirtschaftung des Landes, es ging weder um Gewinnmaximierung noch um wirtschaftlichen Fortschritt oder kapitalistische Expansion, es ging im Endeffekt nur darum, genug zu produzieren, um das Wohlergehen des Bauern und die Steuerzahlung sicher zu stellen. Dieses Gleichgewicht musste erhalten bleiben. In Gifkendorf wurde es über Jahrhunderte hinweg gesichert.

Plan des Dorfes 1776. Die ursprüngliche Hufeisenform ist noch deutlich zu sehen.
Bild: Archeokit

Die Folge dieses agrarischen Konservatismus war ein sozialer Konservatismus. Die auf dem Hof vorhandene wirtschaftliche Grundlage reichte aus, um den ältesten Sohn der Familie zu ernähren, der den Hof und das Mobiliar erbte. Da der Hof nicht vergrößert werden und somit nicht mehr Menschen ernähren konnte, gab es im Dorf keinen Platz für die übrigen Kinder. Sie mussten das Dorf verlassen. Die Mädchen wurden verheiratet, die Jungen konnten – wenn sie Glück hatten – in einem anderen Dorf in einen Hof einheiraten; ansonsten mussten sie in die Stadt gehen, um Handwerker oder vielleicht Soldat zu werden.
Die langanhaltende Stabilität dieses Systems hatte zur Folge, dass es in Gifkendorf innerhalb von 700 Jahren keine Expansion oder Weiterentwicklung des Dorfes gab.

Ausschnitt aus der Kurhannoverschen Landesaufnahme von 1776, es ist die erste zuverlässige detaillierte Kartierung der Region (Bild: LGN).