Weltkriege in Gifkendorf

1. Weltkrieg und Wirtschaftskrisen

Wir haben nur wenige Informationen über das Leben in Gifkendorf zu Beginn des 20. Jahrhunderts, aber es ist wahrscheinlich, dass das Alltagsleben der allgemeinen Entwicklung auf dem Land rund um Lüneburg entsprach.
Mit dem Krieg von 1914–18 mussten die ländlichen Gebiete einen hohen Preis zahlen, es fehlte an Arbeitskräften, die Männer waren im Krieg, ein Teil der Pferde wurde ebenfalls vom Heer eingezogen. Außerdem wurden Dünger und Saatgut knapp und es war unmöglich, neue Maschinen und Geräte zu bekommen. Sieben junge Männer aus dem Dorf fielen im Krieg, hauptsächlich in den Jahren 1917 und 1918. Drei Höfe waren durch den Verlust eines Sohnes schwer betroffen. Die Familie Müller (Hof 1/22) verlor den männlichen Erben Heinrich (gefallen in 1915); glücklicherweise konnte die Tochter Margarethe mit ihrem Mann Gustav Dornbusch den Hof später übernehmen.
Nach dem Krieg blieb die Situation schwierig, die Verschuldung der Bauernhöfe war enorm und die Weimarer Republik hatte in den ländlichen Gebieten, die zu dieser Zeit eher nationalkonservativ waren, kaum Anhänger. Nach der Wirtschaftskrise von 1928 wurde die NSDAP immer stärker, ihr Programm war eng mit der Verteidigung der Interessen des ländlichen Raums verbunden (Entschuldung, Neuordnung des Agrarmarktes mit Absatz- und Preisgarantie, Bekämpfung der Landflucht). Dies sicherte ihr bis zum Krieg eine fast bedingungslose Unterstützung auf dem Land. Als Hitler 1932 eine Veranstaltung in Lüneburg abhielt, kamen 20.000 Personen zusammen, viele mit den Fahrrädern aus dem Lüneburger Umland.

Nationalsozialismus auf dem Land


Die sechs größten Höfe in Gifkendorf wurden im Oktober 1933 vom Staat als Erbhöfe erklärt. Mit der Schaffung der Erbhöfe wollte der NS-Staat die landwirtschaftliche Produktion stärken und die wirtschaftliche Grundlage der einzelnen Höfe sichern. Die Agrarflächen durften weder verkauft oder durch Erbe geteilt werden, ebenso wie sie nicht mit Hypotheken belastet werden durften. Diese Maßnahme sicherte den Bauern ein festes Einkommen, nahm ihnen jedoch jegliche finanzielle Flexibilität.

Erbhofabzeichen, damals auf jedem großen Hof zu sehen (Bild: Archeokit).

Der Kriegseintritt Deutschlands im Jahr 1939 führte dazu, dass mehrere Männer das Dorf verließen. Karl Persiehl (Hof 9/15) musste zum zweiten Mal in 25 Jahren den Stahlhelm aufsetzen. Im 1. Weltkrieg hatte er als Jungspund in einem Artillerie-Regiment in Frankreich gedient, beim 2. Weltkrieg war er als älterer Herr einem Train-Regiment zugeteilt.
Dies hatte zunächst keine großen Auswirkungen auf das Dorfleben. Erst ab 1941, mit dem Beginn des Russland-Feldzugs, sah sich Gifkendorf wirklich mit dem Krieg konfrontiert.

Ein Leben, zwei Weltkriege, Karl Persiehl (Hof Nr. 9/15) erlebte als 20-jähriger den 1. Weltkrieg in einem Artillerie-Regiment in Frankreich (Bild links, in der Mitte stehend) und als 40-jähriger den 2. Weltkrieg: rechts als Parkwache 1939 an der deutsch-belgischen Grenze (Bilder Familie Persiehl-Schultz).

Die Männer waren an der Front und die gesamten landwirtschaftlichen und alle baulichen Arbeiten wurden von Kriegsgefangenen und anderen deportierten Zivilisten übernommen, die in der Regel aus Polen oder Russland stammten.
In dieser Zeit baute ein Kontingent russischer Gefangener die Straße zwischen Vastorf und Gifkendorf neu und errichtete einen Damm, der die Straße, wie wir sie heute kennen, anhob, während sie ursprünglich etwa sieben Meter tiefer lag, bevor sie den Hügel von Gifkendorf erreichte.
1943 erlebte Gifkendorf die erste Flüchtlingswelle. Nach den massiven Luftangriffen auf Hamburg im Sommer 1943 kamen die ersten Flüchtlinge, die sogenannten „Ausgebombten“ nach Gifkendorf. In dem Jahr häuften sich auch die Todesmeldungen: Siegel, Dornbusch, Eilmann und Mundhenke, alle gerade eingezogen, verloren ihr junges Leben irgendwo im Osten.

Heinrich Dornbusch, Hermann Siegel, beide 1943 gestorben (Bilder Familie Siegel).

Die wirtschaftliche Lage wurde immer schwieriger, auch wenn das Leben auf dem Land immer noch besser war als in der Stadt, denn die Ressourcen waren wenigstens teilweise noch vorhanden. So webte und strickte die ganze Familie Meyer (Hof 4/28) aus der Wolle der Schafe. Jacken, Röcke, Mützen – viele Kleidungsstücke wurden auf dem Hof hergestellt. Für weiteres opferte die Familie einen Teil ihrer Bettwäsche, die zu Kleidern und Überröcken verarbeitet wurde.
Im Dorf galt, Schweigen ist Gold wert. Man äußerte sich nicht politisch, wie Jürgen Jarfe bemerkte: „Man blos niks sängen, Mul holen (Bloß nichts sagen, Maul halten).“ Das Beispiel von Carl Lühr aus Woltersdorf im Wendland war sicherlich bekannt. Der Mann wurde 1943 wegen Wehrstandszersetzung hingerichtet, er hatte sich mehrfach gewünscht, dass das Lüneburgische wieder zu den Engländern käme (es gehörte im 17.–18. Jh. zur Krone Englands) und hatte den Führer beleidigt.
Größte Vorsicht war geboten. Nur einer hielt sich nicht daran, Hermann Marquardt (Hof 5/61). Er war der Gestapo schon aufgefallen und stand auf deren Beobachtungslisten. Warum, ist nicht ganz klar, er behauptete nach dem Krieg prahlerisch, dass er vorgehabt hätte, das Gestapo-Gebäude in Lüneburg sprengen zu lassen, was sicherlich nicht stimmte.

Krieg und Flüchtlinge

Während die Liste der toten, vermissten und gefangenen Soldaten immer länger wurde, sah sich das Dorf ab 1945 mit einer zweiten Flüchtlingswelle konfrontiert. Es waren die Trecks, Konvois aus Fuhrwerken, die zuerst aus Ostpreußen, dann aus Westpreußen, Pommern und Schlesien kamen und mit ihnen Ströme von Frauen, Kindern und älteren Menschen, die vom Krieg vertrieben worden waren. Die Trecks versammelten sich auf dem Dorfplatz. Eilmann (13/7), der damalige Bürgermeister des Dorfes, war für die Verteilung zuständig: am Ende sind es 20 bis 30 Leute pro Bauernhof gewesen. Jeder bewohn- und beheizbare Raum (es war Winter 1944/45) wurde genutzt, in der Regel war eine Familie pro Raum untergebracht.

Im April 1945 stand der Krieg vor den Toren von Gifkendorf. Vastorf wurde regelmäßig von amerikanischen Jägern im Tiefflug überflogen. Sie kamen entlang der Eisenbahnlinie und beschossen mit Maschinengewehren alles, was sich bewegte, wie die Einschläge in einem Haus in Vastorf noch heute zeigen.

Vastorf, Dorfstr. 9, am Haus sind immer noch die Spuren von der Maschinengewehrgarbe eines alliierten Flugzeuges zu sehen (Bild: Archeokit).

Nach und nach rückten die Kämpfe immer näher. Am 17. April waren die Engländer in Uelzen, die Stadt wurde teilweise zerstört, die Reste der deutschen Armee zogen sich nach Lüneburg und Bleckede zurück und lange Kolonnen von Männern und Fahrzeugen kamen durch Wulfstorf, wo viele tagsüber eine Pause einlegten, um die Schmiede von Jarfe zu nutzen und Material zu reparieren. Der Rückzug wurde im Schutze der Nacht wieder aufgenommen, um den Tieffliegern auszuweichen.
Der Nazi-Staat existierte nicht mehr und die Bevölkerung hatte nur noch das eigene Überleben im Blick. Ein Güterzug (u.a. mit Waschkesseln), der im Vastorfer Bahnhof stand, wurde von den Bewohnern von Vastorf und Gifkendorf leer geplündert.
Am frühen Nachmittag des 18. April erreichten vier leichte Panzer der britischen Armee Wulfstorf. Zwei deutsche Soldaten, die sich im Dorf ausgeruht hatten, versuchten über die Felder in Richtung Gifkendorf zu fliehen, wurden aber von den Maschinengewehr-Kugeln einer der Panzer erschossen.
Einen Tag später kamen die Engländer mit mehreren Panzern in Gifkendorf an, wo sie einige Tage kasernierten. Im Dorf war die Angst groß, Meyer (4/28) versteckte erstmal seine älteste Tochter in einem Schrank, wo sie mehrere Stunden verblieb.

Humber-Panzerwagen, diese englischen Fahrzeuge bildeten die Vorhut der englischen Truppen
Bild: © BAIV

Die Engländer beschlagnahmten mehrere Häuser, zum Beispiel bei Teldau (8/8) und Eggert (14/67). Die Einwohner mussten zu den Nachbarn umziehen. Dann gingen die Engländer von Hof zu Hof, durchsuchten alle Gebäude und zogen schließlich weiter, nicht ohne Eier und andere Lebensmittel mitzunehmen. Auch wenn sich die Engländer am Ende anständig verhielten, herrschte noch die Angst. In Wulfstorf wurde eine Frau von zwei englischen Soldaten vergewaltigt, und überall fürchtete man sich vor den polnischen Zwangsarbeitern, die nachts die Gegend in Angst und Schrecken versetzten.

Dem 2. Weltkrieg zahlte Gifkendorf letztlich einen hohen Blutzoll. Zehn Gefallene zählte das Dorf (darunter drei Gefallene aus Flüchtlingsfamilien). Mehrere Bauern- und Hofsbesitzerfamilien hatten einen Sohn verloren: Marquardt (5/61), Mundhenke (3/38), Dornbusch (1/22), Siegel (6/69), Eilmann (13/7). Einige Bauernhöfe überlebten diese schwierige Zeit nicht, Marquardt musste seinen Hof 1951 letztlich verkaufen. Diejenigen, die überlebten, kehrten einer nach dem anderen zurück, manchmal stark geprägt von ihren Erfahrungen. Der junge Otto Eilmann kam stark traumatisiert aus der Gefangenschaft zurück, sein Bruder war in Russland gefallen und es sollte einige Zeit dauern, bis er den Weg zurück in die Normalität fand. Mehr Glück hatte Gerlach (Hof 3/38), der als Kriegsgefangener in Kanada bei Forstarbeiten beschäftigt gewesen war und nach seiner Rückkehr einen Job bei der hiesigen Försterei fand. Dafür hatte sich die Einwohnerzahl des Dorfes verdreifacht, auch wenn es sich zunächst nur um Frauen und Kinder handelte. Im Jahr 1951 lebten 32 Personen auf dem Bauernhof 5/61, 35 auf dem Bauernhof 3/38 und das Gleiche galt für jedes Dorf in der Umgebung von Lüneburg, das sich zu einem großen Flüchtlingszentrum entwickelt hatte. Viele dieser Familien blieben schließlich in Gifkendorf und verhalfen dem Dorf zu einem neuen Aufschwung.

Grab des Hermann Siegel, 6. Kompanie des motorisierten 76. Grenadier-Regiments auf einem Soldatenfriedhof, wahrscheinlich in der Region von Smolensk (Rußland) (Bild: Familie Siegel).