Text: Siegfried Stein
Wer hätte je gedacht, dass sich das beschauliche Gifkendorf zu einem gefragten Zentrum entwickeln könnte, in dem sich prominente Künstler und Politiker trafen? Dies alles hängt mit Hof Nr. 3/38 zusammen, den der Hamburger Verleger J. Andreas Meyer 1970 vom Vorbesitzer Mundhenke kaufte.


Für seinen Merlin Verlag benötigte er Platz für die gedruckten Bücher, baute die Gebäude aber schon bald aus als Wohnsitz für seine Familie und in der Folge auch für Künstler wie den Zeichner Arno Waldschmidt (ab 1972 bis 2006), die Malerin Birgit von Frieling (1972–1985) und Johannes Grützke (1982 bis 1995), ein hoch geschätzter Maler, der später u.a. für die Paulskirche in Frankfurt ein Wandgemälde („Der Zug der Volksvertreter“) schuf. Ein weiterer Bewohner war Jürgen Notzke (1978 bis 1982), Architekt aus Berlin, der zum Umfeld der Künstlergruppe Rixdorfer gehörte. Andreas Meyer hatte Kontakte zur links orientierten Szene und nach Frankreich. Ab 1957 verlegte er die Werke des inzwischen sehr bekannten französischen Autors Jean Genet. Bücher aus dem Merlin Verlag wurden unter anderem vom Hamburger Politmagazin DER SPIEGEL und von der Lüneburger Landeszeitung (Herr Koch) über viele Jahre an herausragender Stelle vorgestellt. Häufige Gäste waren der Berliner Theaterregisseur Peter Zadek und die Autorin Elisabeth Plessen, die Kostümbildnerin und langjährige Lebensgefährtin von Johannes Grützke, Barbara Naujok, die Maler und Grafiker aus der Berliner Rixdorfer Gruppe (neben Arno Waldschmidt, Ali Schindehütte, Uwe Bremer und Johannes Vennekamp), die Zeichner-Autoren Horst Janssen aus Hamburg und Janosch, dessen Kinderbücher der Little Tiger Verlag (ein Schwesterunternehmen des Merlin Verlags) bis heute veröffentlicht.












Politisch fühlten sich die Meyers mit der Anti-Atombewegung und mit dem späteren Bundeskanzler Gerhard Schröder verbunden, mit dem es zu mehreren Treffen kam (1990 Veröffentlichung der „Mappe zum Klimawechsel“, im gleichen Jahr Wählerinitiative von Gerhard Schröder im Niedersächsischen Landtag). Auch Skurriles kam vor: Wegen Meyers Bekanntschaft mit der vormaligen SPIEGEL-Autorin Ulrike Meinhof (führend in der Baader-Meinhof-Terror-Gruppe) wurde der Hof in den 1970er Jahren aus einem gegenüberliegenden Haus vom Geheimdienst überwacht.

Gattin Ilse Katarina Meyer schob die Gründung des Lüneburger Kunstvereins an. Ausstellungen folgten (u.a. mit dem Maler Grützke), und mit einem Kostümball zu Silvester 1983/84 wurde das Ereignis gefeiert, wobei auch der spätere Literatur-Nobelpreisträger Gunter Grass zu den Gästen zählte. In Erinnerung bleiben auch zahlreiche Ausstellungen und Lesungen mit prominenten Künstlern und Autoren des Merlin Verlags (u.a. Wolf Klaussner, Karlheinz Deschner, Fritz Raddatz, Christoph Meckel, H. H. Steffens, der spätere Friedenspreisträger Boualem Sansal) und Schauspielern, v.a. aus dem Ensemble des Hamburger Schauspielhauses (u.a. Ulrich Wildgruber, Eva Matthes, Ilse Ritter, Hermann Lause), die über viele Jahre hinweg aktuelle Welt-Literatur ins kleine Gifkendorf brachten. Immer waren sie bis auf den letzten Platz gefüllt und gaben Anlass zu vielen Gesprächen, Diskussionen und vielfältigen Kontakten.