Auf dem Land leben

Die Gemarkung Gifkendorf

Dieser Beitrag bezieht sich auf einen Text von Jürgen Jarfe, den dieser in den 2000er Jahren für das Gemeindeblatt verfasst hat. Es handelt sich um eine Zusammenfassung des Jarfe-Textes, der von Marc Bastet umgeschrieben und um einige Details ergänzt wurde.
Die Originalfassung des Textes von Jürgen Jarfe kann als PDF-Dokument auf dieser Website herunterladen werden.

Die Gemarkung Gifkendorf ist immer ein Grenzgebiet gewesen. Die heutige Grenze zum Landkreis Uelzen, die im Wald verläuft, war im Mittelalter die Grenze zwischen dem Go Modesthorpe (Lüneburg) und dem Go Bevensen und in der Neuzeit zwischen dem Amt Lüne und dem Amt Medingen. Bei dieser Grenze handelte es sich aber nie um eine politische oder kulturelle, sondern lediglich um eine Verwaltungsgrenze zwischen zwei Gebieten, die immer zum Herzogtum Lüneburg gehörten.

Gemarkung Gifkendorf 2024 (Karte Archeokit).

Der Grundherr von Gifkendorf

Grundherr von Gifkendorf war jedoch nicht dieser Herzog, sondern große adelige Familien des Lüneburgischen oder des Klosters. Von der Ursprungslage haben wir keine Kenntnis, da wir erst ab dem 14. Jh. über Archivmaterial verfügen und die Situation zu dieser Zeit ziemlich kompliziert war. Im 14. Jh. waren es schließlich drei verschiedene Grundherren, die sich das Dorf teilten. 3 ½ Höfe (1, 2, 4 und die Hälfte von 3) gehörten mutmaßlich der Familie von Bergen, 1 ½ Höfe waren von der Familie von Wittorf abhängig (5 und die Hälfte von 3), der letzte Hof (6) gehörte dem Kloster Lüne.
Bis zum 18. Jh. gehörten schließlich fünf Höfe der Familie von Bergen, dann dem Amt Garze. Mit der Reform von 1790 wurde das ganze Dorf schließlich dem Amt Lüne zugeschlagen, das mit der preußischen Landübernahme nach 1866 schließlich zum Landkreis Lüneburg wurde.

Bis zum 19. Jh. waren die Bauern Leibeigene ihres Herren. Hof, Mobiliar, Gerätschaften und das Vieh waren zwar Eigentum des Bauern, nicht aber das Land, für das er dem Grundherrn Pacht und Abgaben in Form von Steuern (Geld oder Naturalien), aber auch in Form von Dienstleistungen zahlen musste.

Laurens Omecke und seine Frau Margrit, Besitzer des Hofes 3/38 um 1500 (Zeichnung Archeokit).

Die Kirchensteuer / der Zehnte

Zunächst mussten auch die Gifkendorfer – wie alle Bauern – der Kirche Tribute bezahlen: der Zehnte, der vom Kloster Michaelis gesammelt wurde. In der Theorie musste ein Bauer der Kirche ein Zehntel seines Jahresertrags für den Unterhalt des Kirchenpersonals übereignen.


Die Kirchensteuer musste zunächst in Naturalien bezahlt werden, später wurde die Steuer nur noch als Geldsumme geleistet.
Der Große, auch Feld- oder Kornzehnt genannt, bezog sich auf die Erträge der Getreideernte, der Fruchtzehnt betraf dementsprechend die Früchte, aber auch Flachs und später auch Kartoffeln und Erbsen. Schließlich gab es zudem den Kleinen, auch Schmal-, Fleisch-, Vieh- oder Blutzehnt genannt, der in Gifkendorf Schafe, Schweine, Gänse und Hühner umfasste.

Die Kirchensteuer entsprach einer bedeuteten Belastung, die im Allgemeinen viermal höher war als die grundherrliche Pacht. 1676 waren beispielsweise für den Transport der „Zehntziehung“ (1680 kg Roggen und 768 kg Hafer) des ganzen Dorfes hin zum Kloster Michaelis 13 Wagen vonnöten.

Als weitere Kirchenlasten waren kleine Zahlungen (in Form von Geld oder Naturalien) an den Küster, den Prediger und – wenn es eine gab – die Pfarrwitwe der Reinstorfer Kirchengemeinde zu leisten. Die Ablösung dieser kirchlichen Lasten erfolgte erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts.

Die grundherrlichen Steuer

Für die Nutzung des Landes, das vom Grundherrn zur Verfügung gestellt wurde, war der Bauer dem Grundherrn viel schuldig.
Zunächst handelte es sich um die Pacht. Sie bestand aus festen Abgaben, unabhängig vom Jahresertrag.

Es folgte eine ganze Reihe von Dienstleistungen, die sehr unterschiedlich sein konnten.
Nachfolgend die Liste für Gifkendorf aus dem Jahr 1660:

Dienstgeld Gefangenenwacht: Eine Verpflichtung für den Wachdienst im Gefängnis des Amtes, in Geld umgewandelt.

Lagergeld: Eine Abgabe, die schon 1660 zu leisten war, Ursprung nicht bekannt.

Michaelispacht: Zu Michaelis fällige Abgabe.

Von Bienenhöfen und Honig: Eine sehr selten vorkommende Abgabe, die eine stärkere Bienenhaltung in Gifkendorf belegt (obwohl keine Bienen-Zehnt genannt wird).

Lagerhafer: Ähnlich wie das Lagergeld.

Altes Dienstgeld: Verpflichtung, dem Grundherrn mit der „Hand“ zu dienen. Das konnten Arbeitsleistungen verschiedener Art sein, die wegen der Entfernung in Geld berechnet wurden.

Neues Dienstgeld: Ähnlich wie das Alte Dienstgeld, entstanden aus der Verpflichtung, Reisen für die Zustellung von Briefen zu absolvieren. Diese waren unterteilt in „Lange Reisen“ und „Kurze Reisen“, die langen Reisen konnten dabei bis nach Celle führen.

Burgfestentage: Diese waren vom Landesherrn gefordert, ursprünglich für den Bau, die Befestigung und den Unterhalt seiner Burg, später umgewandelt in eine Pflicht zum Bau und dem Unterhalt von Landstraßen (Handelsstraßen).

Weinkauf: auch Winkauf oder Vorhur genannt, war eine auf den künftigen, erwarteten Gewinn des Hofes bezogene Abgabe bei einer Hofübergabe an Erben, auch an die Interimswirte.

Hofannahme-Gebühr und Heimfallsrecht: Schreibgebühr für Verträge, des Weiteren eine Sicherheits- oder Anrechtsgebühr für das Recht von folgenden Generationen auf Übernahme des Hofes.

Rauchhuhn: wurde fällig, wenn Rauch aus dem Schornstein aufstieg – als Zeichen, dass das Haus bewohnt war.

Als Halbhöfner mussten die Gifkendorfer keine regelmäßigen Spanndienste leisten, dafür war jeder Hof zu sogenannten Kriegerreisen verpflichtet und musste auch in Friedenszeiten mit einem Pferd (und im Allgemeinen einem Knecht) dem Militär zur Beförderung von Bagage und Material zur Verfügung stehen.

Kontribution: Abgabe zur Finanzierung eines stehenden Heeres im Kriegsfall.

Aus einem Vertrag von 1855 ist gut zu erkennen, dass die Daten zu dieser Zeit ihre Grundlage in der Aufstellung von 1660 haben – wenn auch mit einigen Änderungen.

Landknecht um 1800 (Zeichnung Archeokit).

Der Grundherr und der Bauer

Der Grundherr verfügte über viel Macht im Dorf. Alle Entscheidungen, die den Hof betrafen, musste er überprüfen und absegnen: Hochzeiten (die Anzahl der Gäste wurde immer kontrolliert und manchmal begrenzt), Reisen, Bürgschaften, Hochzeitsverträge, Altensteilverträge, Hofübernahmen … Im schlimmsten Fall konnte der Grundherr auch den Rauswurf eines Bauern vom Hof erzwingen: die sogenannte Abmeierung. Einige Beispiele sind in Gifkendorf bekannt: so Jürgen Heinrich Schulenburg (Hof 3/38) um 1790; auch Johann Jürgen Schope vom Hof 4/28 drohte um 1778 eine Zeitlang die Abmeierung.

Die ganze Liste von Steuern, Abgaben und Dienstleistungen erscheint uns heute ungeheuerlich, aber unmenschlich waren diese Lebensbedingungen nicht. Die Hofabgaben waren nicht allzu hoch (auf jeden Fall deutlich niedriger als die Kirchensteuer) und es bestand die Möglichkeit, mit dem Grundherrn zu reden.
1813 wütete mit dem Befreiungskrieg eine schwere Wirtschaftskrise. Dem Bauern Dittmer (Hof 4/28) wurden in diesem Zusammenhang 2 Jahre lang die Abgaben erlassen, damit der Betrieb auf dem Hof überhaupt fortgesetzt werden konnte. Es war dem Grundherrn lieber, auf die Steuer zu verzichten, als einen Bauern zu verlieren, den er vielleicht nicht ersetzen konnte. Zu groß war die Angst vor Zuständen wie zur Zeit des Dreißigjährigen Krieges, als die Höfe jahrzehntelang verlassen blieben, weil es kaum möglich war, Pächter zu finden.
Der Grundherr bot auch eine Rechtsberatung und Rechtsvertretung an, was regelmäßig von den Bauern in Anspruch genommen wurde, im Allgemeinen wegen Grundstücksstreitigkeiten. Der Grundherr verfügte im Übrigen auch über die Gerichtsbarkeit im Dorf.

Wie schon erwähnt erfolgte eine Ablösung dieser Vielzahl an Lasten im 19. Jh. Die Ablösung des Zehnten fand in den 1840er Jahren statt, die Ablösung der grundherrlichen Dienste und der Pacht erst zwischen 1870 und 1880; nur der Hof 3/38 konnte sich bereits 1855 ablösen.
Anbei die Summen (in Talern), die teilweise nur mit staatlichen Darlehen zu bezahlen waren:

            Zehnte            Grundherr                  Pacht                          Gesamt:         

1          1170                           360                 342                             1872

2          961                            360                 342                             1664

3          1113                           360                 342                             1849              

4          759                            360                 342                             1462

5          1346                          360                 342                             2049

6          917                             360                 342                             1620

Die Gifkendorfer Dorfgesellschaft

Grundsätzlich gab es mehrere Kategorien von Bauern. Ganz oben in der Hierarchie fand man die Vollhöfner: das waren Bauern, die im Besitz von größeren Ackerflächen (20–100 Hektar) waren. Solche Höfe gab es in Gifkendorf nicht, denn das Dorf bestand an der Größe der Ackerfläche gemessen nur aus sechs Halbhöfen, die ursprünglich alle gleich groß gewesen waren. Man fand dann Brinksteller, Ab- und Anbauern, das waren Bauern, die über ganz wenig Land verfügten, sodass sie als Knechte für die größeren Bauern arbeiten mussten oder nur mit einem Mischwirtschaftssystem überleben konnten. Hierzu gehörten der Rademacher Müller, der 1757 den Hof 7/2 gründete, oder Hans Heinrich Dittmer, der Schneider war und 1821 den Hof 9/15 mit nur 2 Hektar gründete.

Auch wenn die sechs Gifkendorfer Halbhöfner nicht sehr reich gewesen sind, standen sie natürlich ganz oben in der Dorfhierarchie und hatten das Sagen im Dorf. Der Bauer war vor allem der Patriarch auf seinem Hof, aber auch alle anderen Einwohner (Handwerker oder Kleinbauern) waren in irgendeiner Weise von den sechs großen Höfen abhängig. Von dieser restlichen Bevölkerung weiß man grundsätzlich sehr wenig. Die Kleinbauern waren vermutlich in der Lage, sich ordentlich zu versorgen. Anfang des 20. Jhs. Gab es auch in Gifkendorf einige Bahnarbeiter, die dort wohnten und im Vastorfer Bahnhof arbeiteten. Ganz unten in der Rangordnung und wahrscheinlich meistens am Rand des Existenzminimums befanden sich schließlich die Landknechte und Hofarbeiter.

Hofmägde um 1900 (Zeichnung Archeokit).

Marie Meyer erwähnt in ihrem Tagebuch das alte Ehepaar Eggert, das mit zwei anderen Familien Anfang des 20. Jhs. in einer Kate (4a) des Hofes 4/28 wohnte. Im Haus befanden sich weder Kochherde noch Betten. Die Leute schliefen im Butzenschrank und die Frau kochte zeitlebens im Kamin über offenem Feuer. Durch diese Umstände kann man sich die starke weibliche Mortalität auf dem Land erklären, die oftmals auf Lungenkrankheiten zurückzuführen ist.

Kamin und Butzenbett auf einem französischen Bauernhof um 1900, ähnlich hat es zu dieser Zeit hier ausgesehen.

Auch das Schicksal des Wilhelm Verthein spiegelt diese Lebens in der Armut am Rand des Existenzminimums wider: Verthein war Besitzer des Hofes 3/38 und veranlasste 1911 einen Neubau seines Hofes außerhalb des Dorfes. Er hatte sich dabei offenbar wirtschaftlich übernommen, und schwer verschuldet musste er den Hof nur fünf Jahre später wieder verkaufen. Er ließ sich im Haus 11/33 nieder, das seiner Mutter gehörte. Ohne Einkommen, fortan von Gelegenheitstätigkeiten und von der Dorfsolidarität lebend, führte er 40 Jahre lang ein schweres Leben, wobei er häufig alkoholisiert und barfuß im Dorf anzutreffen war.

Den Reichtum konnte man besonders an der Anzahl von Pferden auf dem Hof ablesen, denn die Pferde waren der ganze Stolz der Bauern. Kleinbauern ohne Pferde nutzten Ochsenkraft – man war sich nicht zu schade, auch die Kühe mit vollem Zaumzeug einzuspannen. Die Mechanisierung fand ab den 1950er Jahren statt, setzte sich im Dorf aber nicht überall so schnell durch, weshalb mehrere Höfe noch lange weiter mit den Tieren arbeiteten. Diese sozialen Unterschiede nahmen im Laufe des 19. Jhs. ab und verschwanden im 20 Jh. schließlich vollständig.

Die Gemarkung war recht klein (ursprünglich ca. 320 Hektar), glücklicherweise wurde sie 1598 um 75 Hektar in Nord-Ost Richtung (Hohnstorf) erweitert; wahrscheinlich handelte es sich um eine Übernahme der Ackerfläche der Wüstung Hohenrohstorf. Die Ackerfläche lag um das Dorf, eng an der Siedlung, wie es damals üblich war. Das Gemeindeland, das überwiegend aus Heidegebiet oder Wäldchen bestand, befand sich südlich und östlich des Dorfes am Rand der Gemarkung. Diese sogenannte „Almende“ wurde als Weideland genutzt. Mit der Verkoppelung 1840 wurde dieses Land zwischen den Bauern geteilt, und so verschwand viel Weideland. In der Folge wurden zum Beispiel die Schafherden viel kleiner.

Kurhannoversche Landesaufnahme von 1776. Ackerflächen, Heide- und Weideland sowie Waldflächen wurden unterschiedlich dargestellt (Bild LGN).
Ackerfläche des Dorfs (in hellblau) im 18. Jh., der Rest der Gemarkung war Heide- und Weideland für das Vieh (Karte Archeokit).

Das Weiden von Kühen blieb im Dorf eher unwichtig. Es gab einfach keine Möglichkeit, einen größeren Rinderbestand in Gifkendorf zu unterhalten.

Viehbestand 1843

Hof1  23456
Pferde222122
Ochsen664466
Milchkühe334143
Jungvieh444144
Schafe408060309080
Schweine79641016

In Gifkendorf wurde wie auch in der ganzen Region seit dem Mittelalter überwiegend Roggen und Hafer angebaut, dazu auch Flachs, aus dem Leinen (teilweise zum eigenen Gebrauch) hergestellt wurde. Jahrhundertelang wurde in Gifkendorf die Dreifelderwirtschaft (Roggen, Hafer, Buchweizen) betrieben, in anderen Dörfern gab es manchmal auch die Fünffelderwirtschaft, bei der zusätzlich Kartoffeln und Rüben angebaut wurden.

Durch die Zehntliste erfahren wir, dass 1798 in Gifkendorf erstmals Kartoffeln in großer Menge angebaut worden sind. Und damit lag Gifkendorf zur damaligen Zeiten voll im Trend, denn es war genau die Periode, in der sich Kartoffeln in ländlichen Gebieten als wichtiges Nahrungsmittel durchsetzten. Im Gegensatz zu anderen Regionen wie Preußen, wo es die Obrigkeit gewesen war, die versuchte, den Kartoffelanbau durchzusetzen, verbreiteten sich die Kartoffeln im ländlichen Gebiet der Lüneburger Heide ganz von alleine.
So erfahren wir durch die Dokumente auch von einem herben Produktionsrückschlag im Jahr 1845, verursacht durch die sogenannte „Kartoffelpest“ (Kraut- und Knollenfäule).

Getreideernte in Gifkendorf (Hof 4/28) um 1930 (Bild Familie Bruns).

Durch die Zehntablösung 1843 erhält man einen Eindruck der wirtschaftlichen Leistung der jeweiligen Höfe.

1843 Zehntablösung (Wert in Reichstalern)

Hof 11168
Hof 2970
Hof 31082
Hof 4759
Hof 51351
Hof 6918

Der Hof 5/61 war zu diesem Zeitpunkt der größte in Gifkendorf, der Ertrag war fast doppelt so groß wie der von Hof 4/28. Hof 5/61 besaß auch eine eigene Brennerei, und von ihm hing zudem der Ausspann-Stall ab, der sicherlich ebenfalls eine lukrative Einnahmequelle war.